Auf Messers Schneide

Regen, Regen, Regen hier im Nordwesten bei Bergen. Ich hab mal gelesen, 300 Tage im Jahr. regnet es hier. 2 Tage davon kann ich nun bestätigen.

Am Morgen gehe ich – erstaunlicherweise relativ trocken – zwei Hunderunden zur Bananeninsel und wieder zurück. Dabei habe ich mit Floki auf der Wiese ein wenig herumgetollt.

Anschließend – do like the Norwegisas do – sind wir die 200 Meter zum Extra gefahren – im strömenden Regen – und trotzdem noch klatschnass geworden. Der Laden ist für diesen kleinen Ort extrem gut und frisch ausgestattet. Es gibt sogar 10% Rabatt auf Obst und Gemüse.

Frisch beladen geht es den Sunnefjord entlang und dann durch die größte Stadt hier im Umkreis Førde. Über 10.000 Einwohner, mehrere Einkaufszentren und schwer was los hier. Wir fahren nur rasch durch und die Straße weiter, denn wir wollen heute zu unserem einzigen feststehenden Ziel unserer Reise: der Helle Fabrikken.

Wir fahren über einen niedrigen kleinen Pass und gelangen auf die große E39. Hier haben uns die Touristenströme wieder ein. A prospos Ströme – hier hat es auch viel Regen. Schon nach kurzer Zeit biegen wir auf die FV57 ab und sind wieder alleine. Sehr alleine.

Die Straße ist teilweise einspurig, die Landschaft unberührt bis „Voralpenland“ und Christian sagt, man bräuchte fast Messer, um sich hier durchs Dickicht zu schlagen. Bildlich gesprochen natürlich nur. Nach etwa 45 Minuten kommen wir in Holmedal am Ende einer Landzunge tief im Westen an.

Hier finden wir rasch den Lagerverkauf der Helle Fabrikker AS. Hier werden seit 1932 traditionelle Outdoor- und Wildnis-Messer hergestellt, die traditionelles norwegisches Design mit moderner Technologie vereinen. Der Fabrikverkauf macht von außen nicht viel her; er sieht aus wie ein altes Fabrikgebäude am Fjord. Doch im inneren ist der kleine Laden gut sortiert, mit viel Personal innen und vielen Rabatten.

Alle Messer werden hier handgefertigt. Wir erstehen hier drei dieser Unikate und lassen sie uns noch gravieren. Natürlich muss ich eines davon durch meine Hampelei unfreiwillig ausprobieren und kann bestätigen, dass sie sehr scharf sind und eine saubere Schnittführung haben. Wie wir darauf kommen, hierher zu fahren? Zufall. Wir haben in Südtirol kurz eine Familie beim Wandern getroffen, die Messer von hier bei sich hatten. Das fanden wir gut und so ergab eines das andere.

Anschließend wollen wir nicht den ganzen Weg von der Halbinsel wieder zurückfahren und Versuchen die zweite mögliche Route, die RV57 entlang des „gamle Trondhjemske Postvei“, früher eine wichtige Route, heute eine beliebte Wanderstrecke. Die Straße ist weiterhin schmal, durch den Regen können wir aber viele sehenswerte Kleinode entdecken wie eine schöne moosbewachsene Brücke, eindrucksvolle Wasserfälle wie z.B. der vor dem Harefossentunnelen und grandiose Täler. Von den Bergen sehen wir im dichten Regen leider nicht sehr viel.


(wer außer mir kennt noch solche Lichtschalter?)

Wir biegen ab und nehmen die Fähre von Lavik nach Oppdal. Die Straße hinab ist unfassbar schön. Sie windet sich am steilen Hang hinunter bis auf Meeresniveau. Was eine tolle Motorradstrecke! Christian dagegen ist von der ganzen Kurverei und Einspurig-durch-die-Wildnis-juckeln schon ganz genervt und wünscht sich wieder eine breite touristisch ausgebaute Straße.

Ursprünglichkeit, kleinen Straßen und viele Kurven und Pässe sind ja schon und gut, ermüden aber doch recht rasch den Fahrer. Die Fähre fährt mit uns durch Regen und Wind. Bumm bumm bumm hören wir es knallen. Das sind die Wellen, die vor den Bug prallen. Das habe ich so noch nicht erlebt.

Anschließend machen wir eine Teepause am Fähranleger in Oppdal. Es regnet immer noch und wir genießen den Blick auf den Fjord, die Fähre sowie die Baustelle. Hier wird der Küstenrand mit Steinen neu errichtet und wir beobachten ein paar „kleine“ Steinlieferungen. Wenn die LKWs ausladen, bebt die Erde!

Anschließend geht es weiter auf der E39 in Richtung Bergen. Touristische Zivilisation, wie Christian wollte. Ob die Landschaft schön ist wissen wir nicht, denn wir fahren mehr oder weniger durch ein „Greyout“. Mitten durch Regen und Wolken fahren wir schön auf frisch geteerten Straßen. Schön?

“Hey, schau mal, noch 78 km bis zum nächsten Kreisverkehr und die 10 Fahrzeuge hinter uns fahren alle 50, obwohl man hier 80 fahren darf.“ Christian regt sich sehr auf. Die Schlange hinter uns – wir sind Auto Nummer 10 – wird ellenlang. „Das sind die Momente, wo man hinten an die Schlange heran fährt und denkt: hä? Warum fahren den alle 40?“

Christians Antwort darauf ist: „Weil vorne einer scheintot ist und nicht einfach rechts ran fährt, um die schnelleren Fahrzeuge passieren zu lassen. Das haben wir doch früher noch in der Fahrschule gelernt!“ Doch bald braucht er sich nicht mehr aufregen, denn das Problem wird durch den Feierabendverkehr in Bergen nahtlos abgelöst.

Da wir nicht in die Stadt wollen, biegen wir rasch auf die E16 ab. Schnell weg aus dem Verkehrsmoloch. Ich frage Christian, was ihm lieber ist: kleine leere oder große volle Straßen und er antwortet, dass das eine Wahl zwischen Pest oder Cholera ist – insbesondere, nachdem man grad beides durchlebt hat.

Kurz später biegen wir auf die FV7, dem Hardangervegen ab. Er führt durch das Hordaland. Hier ist es endlich etwas ruhiger, dafür haben wir nicht-gut-autofahrende Touristen getauscht gegen einen LKW mit Anhänger, der bei jedem Anstieg Probleme hat. So hat sich Christian die großen Straßen nicht vorgestellt, als er sie sich gewünscht hatte.

In einem kleinen Weiler biegen plötzlich alle Fahrzeuge vor uns ab und wir haben freie Bahn. Na wer hatte das gedacht? Wir freuen uns über einen freien Blick auf die vielen über und über mit Wasser gefüllten Wasserfälle wie den Brattefossen und Stromschnellen. Und es regnet noch immer. Das Panorama sieht theoretisch ganz gut aus. Als ob es so richtig Potential hat.

Oben auf dem Pass gibt es ein großes modernes Wintersporthüttenfeld. Was hier wohl im Winter los ist? Im Regen machen wir einen Stop am Steindalsfossen. Er führt unglaublich viel mehr Wasser als bei unserem letzten Besuch. Merle erinnert sich noch daran und an ihren damals gefassten Entschluss, nochmal mit adäquater Kleidung unten am Fuße des Wasserfalls auf einem Stein zu stehen.

Sie zieht Crocs ohne Socken, eine Matschhose sowie eine Regenjacke an und geht los. Auf den Stein kommt sie diesmal gar nicht, so doll tost das Wasser. Aber klatschnass wird sie dennoch. Während unseres Besuches klart der Himmel auf, es gibt einen Regenbogen und die Sonne kommt hervor. Wie schön! Wir haben die Wettergrenze erreicht.

Anschließend fahren wir ein absolut traumhaftes Tal den Berg hinab an den Hardangerfjord. Wir gehen fix tanken und dann zur Fähre von ørvikbygden nach Jondal. Als wir hinter einem holländischen Wohnmobil an der Fähre ankommen. Fährt gerade der Schlagbaum hinunter und die Lifjord fährt ab. Das war so knapp, theoretisch hätte er uns noch mitnehmen können.

Denn wir sind so spät – 18:51 Uhr -, dass die Fähren von nun an nicht mehr alle 20 oder 30 Minuten, sondern nur noch stündlich fahren. Wir mussten also bis 19:50 Uhr warten. Manchmal wird man das Gefühl nicht los, dass sie für einheimische Fahrzeuge noch gewartet hätten, für uns Touristen aber nicht. Aber wahrscheinlich kommt der Gedanke nur aus dem Gefühl der Machtlosigkeit heraus. Nach einer halben Stunde kam die andere Fähre, legte aber sofort wieder ab und machte Feierabend in Omaholmen.   

Wir konnten uns nun also gut eine Stunde die Hucke vollquengelnd mit was wäre wenn.. wenn wir nicht getankt hätten, wenn wir weniger lange am Wasserfall angehalten hätten.. wenn wir etwas schneller gefahren wären.. wenn ich mich rechtzeitig über die Abendfahrzeiten erkundigt hätte und so weiter. Damit kann man völlig sinnlos eine ganze Stunde füllen. Insbesondere, wenn man einen langen Regentag hinter sich hat und einen leeren Magen.

Auf der anderen Seite im hübschen, weißen Ort Jondal (nicht zu verwechseln mit Yondu Udonta), entdecken wir vor dem Anlegen einen kleinen Wohnmobilhafen an der Marina. Statt also noch weiterzufahren, bleiben wir hier stehen. Und wir werden nicht enttäuscht. Der Regen ist verschwunden, es kommt sogar etwas Sonne durch die Wolken hindurch und der Stellplatz ist lieblich hergerichtet.

Es gibt weiße Bänke mit Dahlien und anderen schönen Blumen. Zur Verfügung stehen auch WC, Dusche und Waschmaschine und Trockner. Bezahlen kann man ganz leicht per QR-Code. Es ist ein perfektes Ende für einen grauen Regentag. Um etwa 21:30 Uhr essen wir dann doch schon zu Abend. Denn das haben wir ganz vergessen. Es wird ein schnelles Polarbröd auf die Hand.

Anschließend in der Dusche gibt es noch einen Kreischmoment. Denn ich habe etwas an der rechten Schulter, was nicht abgeht und was ich im Halbdunklen nicht erkennen kann. Doktor Peters schaut drauf und erkennt sofort, dass es eine Zecke ist, die sich mir heute in ausbeuterischer Manier genähert haben muss. Wo ich die nur her habe? Ich war den ganzen Tag in Shirt, Wolljacke und Regenjacke gekleidet…

Nur gut, dass wir diesen Platz mit Dusche aufgesucht haben statt des ursprünglich avisierten Stellplatzes. Dann hätten wir das vielleicht nicht so leicht bemerkt. So kann Christian – assistiert von seiner reizenden Lichthalte-Assistentin Merle – die Zecke herausoperieren und ich habe gute Überlebenschancen. Was ein schönes Ende für einen solchen Tag.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.

Ähnliche Beiträge

Beginne damit, deinen Suchbegriff oben einzugeben und drücke Enter für die Suche. Drücke ESC, um abzubrechen.

Zurück nach oben