Tag 9 war der erste Tag, der von vorn bis hinten nicht so verlaufen ist, wie wir es erwartet hatten: Anreise, Tagesevent und Nachtlager verliefen anders als gedacht. Aber das muss nicht unbedingt schlechter sein.
Vor diesem Tag mussten wir uns entscheiden – geht es nach Westen oder nach Osten weiter. Wir entschieden uns gegen mein Bauchgefühl und für die schönere Landschaft, also die Fjordlande.
Die Anfahrt zum Rauland dauerte theoretisch 1,5 Stunden und praktisch genauso lange. Das lag insbesondere daran, dass die Straßen groß ausgebaut und relativ gerade waren. Es fühlte sich eher an, wie eine Passage durch ein Deutsches Mittelgebirge. Also für norwegische Verhältnisse eher unspannend. Es ging heute also nach Westen, nach Rauland, an den Südhang der Hardangervidda.
Als wir dann in Krossen im Rauland ankamen, befanden wir uns wieder auf etwa 950 Metern Höhe, genau wie auf dem Lifjell-Parkplatz. Sonne war hier entgegen der Vorhersagte leider keine am Himmel zu sehen. Das bedeutete auch, dass die heutigen 16 Grad im Wind hier recht frisch daher kamen.
Wir wollten hier das Telemarkstunet besuchen, ein kleines Dorf aus nachgebauten mittelalterlichen Holzhäusern, in denen es kleine Handwerksgeschäfte gibt. Die Häuser waren wundervoll hergerichtet und in jedem saßen ein oder mehrere Personen, verkauften Waffeln, Tand, Handwerkswaren, Glaskunst oder sonstige Dinge. Dazu gab es einen schönen Spielbereich für Kinder mit Spielplatz, Spielgeräten aus dem Mittelalter und der Neuzeit, Dosenwerfen und einer Outdoorküche. Merle war sofort in der Spielküche verschwunden, während wir uns die Häuser und die Waren anschauten. Es war sehr schön und die Menschen hier waren sehr nett. Auf die 8 Verkäufer hier kamen etwa 10 Gäste zeitgleich. Angeblich ist heute der am besten besuchte Tag des Jahres bisher. Für uns aus den Randbezirken des Ruhrgebietes völlig unvorstellbar.
Leider gab es die beiden Highlights, auf die wir spekuliert hatten – Brot und Musik – heute leider nicht: Samstags spielt eigentlich immer eine Liveband. Das Konzert heute fiel aber leider krankheitsbedingt aus. Und auch das Steinofenbrot, das hier am Wochenende gebacken wird, fiel aus, da der einzige Bäcker heute seine Freunde in Oslo besuchen gegangen ist.
Wir machten es uns mit einer frisch gebackenen Waffel (5 Euro) gemütlich, während Merle im Shoppingrausch ohne ein selbstgestricktes Stirnband mit typischem Telemarkmuster nicht weiterfahren wollte (25 Euro und ein “das hat die Frau da vorne mit dem Baby im Arme letzte Woche erst gestrickt”).
Die Menschen hier sprechen alle einen Nynorsk-Dialekt, der sich von dem bisherigen Bokmal ziemlich unterscheidet. Wir konnten uns aber gut verständigen, da das hiesige “Bymal” auch sehr langsam und deutlich ausgesprochen wurde. Tatsächlich wurden wir nach einem längeren Gespräch mit der Verkäuferin von einer zweiten gefragt, ob wir Norweger wären. Da waren wir sehr stolz auf unsere neu erworbenen Sprachkünste.
Mit einem lokalen Künstler, der sich Piggsvin nennt, kamen wir ins Gespräch und er beschrieb uns zwei kurze Spaziergänge. Der eine führte uns auf einem Schotterweg hinter dem Dorf direkt auf eine kleine Landzunge des hiesigen Sees “Totak”, der den Einheimischen zufolge einer der schönsten Seen Norwegens sein soll. Der Weg begann zwischen den Häuschen des Telemarkstunet, war kurzweilig und den Spaziergang allemal wert. Am Ufer gab es Sitzbänke, Angelstellen, jede Menge Aussicht und auch Badestellen, wobei der See für uns etwas zu kalt daher kam.
Der zweite Weg war zu Felsritzungen auf einer Landzunge namens “Sporneset” oder “Spones”. Die Anfahrtsbeschreibung besagt: “Die Straße nördlich des Sees entlang fahren und vor der Brücke vor der Kirche links rein”. Aber wir konnten keine Koordinaten oder Internetartikel dazu herausfinden und hatten dann im einsetzenden Regen nicht die Lust, die Stelle mit Google Maps wandernd herauszufinden. Falls jemand die Koordinaten dazu hat, bitte in den Kommentaren verewigen, wir kommen sicher noch einmal hierher zurück.
Nach dem Besuch des mittelalterlichen Dorfes und dem Spaziergang suchten wir uns einen Schlafplatz. Dazu hatte ich den Sandstrand “Fagersand” in 5 Autominuten Entfernung herausgesucht (mit Sonne im Sinn). Doch auf dem Schotterparkplatz mit dem Charme eines Kieswerkes kostete das Parken Geld, hatte man keinerlei Aussicht auf den See und dazu war das Campen selbst auch verboten. Also machten wir nur einen ganz kurzen Ausflug an den 5 Minuten entfernten Strand im Regen, und dann fuhren wir weiter zu “Plan C”.
Plan C sah vor, zu einem Picknickplatz etwa 5 km vor den Ort zu fahren. Hier standen schon zwei Niederländer und wir ergatterten den letzten schönen Platz direkt mit Breitseite zum See hin.
Mit uns und den Niederländern übernachtete hier noch eine Gruppe einheimischer Jugendlicher mit Schlafsack und Tarp. Respekt von uns, denn in jeder Regenpause kamen Myriaden von kleinen Stechfliegen aus dem Gras und wir schlossen uns im Bus – zumindest bei schöner Aussicht auf den Sonnenuntergang – ein.